Interview mit Johanna Adorján

 

 

Als ich von Ihrem Projekt gehört habe, war meine erste Reaktion: Angst. Wie ging es Ihnen – was waren Ihre ersten Gedanken, als man Ihnen anbot, deutsche Weihnachtslieder neu zu arrangieren?

Mir ging es genau so. Als die Deutsche Grammophon mit dieser Idee auf mich zukam, war meine erste Reaktion leichte Angst gemischt mit Ratlosigkeit. Weihnachtsplatten gibt es ja jedes Jahr. Was soll ich da jetzt machen, dachte ich. Dann fand ich aber diese Herausforderung schön, dass es nur deutsche Weihnachtslieder sein sollten. Und dass es orchestral sein sollte. Das hat mich beides sehr gereizt.

Das waren die Vorgaben – nur deutsche Weihnachtslieder, und die mit Orchester?

Ja. Beziehungsweise es war so, dass es die Anfrage gab, und ich habe mir dann Gedanken gemacht, in welche Richtung das gehen könnte und hatte schnell die Idee, es mit Orchester zu machen. Und zwar auf eine moderne Art, aber nicht poppig oder flach, sondern elegant. Und dann habe ich mal ein paar Lieder ausprobiert, und ich mochte, wie es klang: Wie eine Mischung aus guter kontemporärer Filmmusik und ungewöhnlichen Klangfarben und Stilmitteln, wie man sie von Orchestern normalerweise nicht kennt.

Die meisten der Lieder sind instrumental, ein paar sind zusätzlich in einer Version mit Gesang auf dem Album.

Das war von Anfang an klar. Es sollte ein in erster Linie instrumentales Weihnachtsalbum werden. Die Leute zuhause sollen ja auch mitsingen können.

Wobei das schwer sein könnte, vor allem bei den bekannteren Sachen, die in Ihrer Version oft so eigen und anders klingen, dass man die Melodie nur bei genauem Hinhören erkennt.

Das stimmt. Das wollte ich erreichen: dieses Rätselraten. Viele Stücke fangen so an, dass man zuerst gar nicht weiß, welches Weihnachtslied das jetzt ist. Und irgendwann erkennt man dann das Thema und weiß: ach so, das war schon die ganze Zeit O TANNENBAUM! Man erkennt das manchmal erst nach über einer Minute. Das hat Spaß gemacht. Ich hab mal mit Freunden den sportiven kleinen Wettkampf gemacht, wer als erstes rauskriegt, welches Lied das jetzt ist.

Viele dieser Lieder hängen einem ja schon zu den Ohren raus, wenn man nur an sie denkt, so oft hat man sie in Einkaufspassagen vor sich hindudeln hören.

Exakt. Und ich wollte eben erreichen, dass man sie neu hören kann. In einem neuen Gewand sozusagen. Ohne dass man sie sinn-entstellt oder vollkommen verfremdet. Es hat Spaß gemacht, sich ganz neue Hinleitungen zu dem jeweiligen Thema auszudenken. Oder eine Gegenmelodie zu etablieren, die das Stück insgesamt raffinierter macht. Ich habe auch viele musikalische Zitate in den Liedern versteckt. Es gibt zum Beispiel ein Stück... Obwohl, ich weiß gar nicht, ob man das vorher verraten soll, weil die Leute raten ja auch gern.

Ach doch, eins...

Okay, also, ich habe zum Beispiel das berühmte „Wiegenlied“ von Brahms zitiert, also „Guten Abend, gut’ Nacht“, was ja jeder kennt. Das findet sich bei mir in der Einleitung zu „JOSEPH, LIEBER JOSEPH MEIN“, wo die eine Melodie nahtlos in die andere übergeht.  

Haben Sie ein persönliches Hass-Weihnachtslied, das deshalb jetzt nicht auf dem Album ist?

Ich habe tatsächlich auch einige bekannte nicht mit aufs Album genommen. Zum Beispiel O DU FRÖHLICHE. Noch nicht mal, weil ich es nicht mag, aber es ist so schwer und sakral. Oft passt das ja, aber die Herausforderung bei den deutschen Weihnachtslieder lag schon darin, dass, im Gegensatz zu den anglo-amerikanischen, keine Entertainment-Stücke dabei sind. Es gibt bei uns nichts Vergleichbares mit RUDOLPH, THE RED NOSED REINDEER oder SANTA COMES TO TOWN – das sind ja wirkliche Evergreens in Amerika. Es gibt keine deutschen Weihnachtslieder, die von sich aus so unterhaltsam sind. Und da hab ich einige aussortiert, die mir zu ehrwürdig oder sakral oder kirchlich vorkamen.

Ein Weihnachtslied besteht im Grunde aus nicht mehr als ein paar Takten Musik, die dann strophenweise wiederholt werden, mit jeweils anderem Text. Wie macht man da eine interessante Orchester-Fassung draus?

Da muss man sich tatsächlich was einfallen lassen, damit am Ende ein drei- minütiges Stück daraus wird. Da bestand die Herausforderung dann darin, sich etwa vorzustellen: wie klingt leise rieselnder Schnee im Orchester?

Und, wie klingt leise rieselnder Schnee?

Ich fand, dass man ihn am besten durch Pizzicato darstellen kann. Er ist ruhig, aber tänzelnd, eine gleichmäßige Bewegung, und weil er ja kein Schneesturm ist, hat er auch etwas Beruhigendes. Ich habe sofort an gezupfte Geigen gedacht.

Diese Welt, die da in den Liedern beschworen wird, die gibt es ja gar nicht mehr – oder kaum noch. Das fängt ja schon mit dem Schnee an und hört, vollbeladen mit Tüten und enorm gestresst, kurz vor Heiligabend schnell noch in einem Kaufhaus auf.

Absolut richtig, die Vorweihnachtszeit artet leider meistens in Hektik und Stress aus. Die Musik soll dazu ein Kontrapunkt sein: sie soll helfen, sich wieder auf den Ursprung dieses Festes zu besinnen, das ja etwas Feierliches, Fröhliches hat. Vielleicht haben deshalb schon manche gesagt, es klinge ein bisschen nach Märchen. Oder nach Film. Weil die Musik hier schon auch versucht, mit ihren Mitteln eine eigene Welt zu erschaffen.

Ich musste vor allem bei IHR KINDERLEIN KOMMET an einen Film denken. An einen 50er-Jahre-Weihnachtsfilm, der in New York spielt. Wo der Weihnachtsmann nach getaner Arbeit im Kaufhaus Macy’s seine Kutte auszieht und durch die Stadt nach Hause spaziert, irgendwie so. Haben Sie Bilder oder Szenen im Kopf, wenn Sie komponieren?

Ich kenne ganz wenige Weihnachtsfilme. Deswegen war ich zum Glück total unvoreingenommen. Aber ich glaube, solche Assoziationen kommen daher, dass die Musik irgendwie eine Tür zu einer Zauber- oder Märchenwelt aufstößt...

...oder auch zum Broadway. MORGEN KINDER WIRD’S WAS GEBEN etwa klingt bei Ihnen nach ganz großer Show.

Stimmt, das könnte fast eine Musical-Tanznummer sein. Da wollte ich die Aufregung einfangen, an die ich mich noch aus meiner eigenen Kindheit erinnere. Man erlebt die Zeit als Kind natürlich viel ausgedehnter als später, und diese 24 Tage, vom ersten Tag des Adventskalenders bis Weihnachten, die sind ja fast eine Folter, weil sie einfach nicht vergehen wollen, und am Ende steigt dann die Aufregung so dermaßen, dass man fast platzt - und das ist jetzt drin in der Musik.

Dieses Stück gibt es in Versionen – einmal als Instrumental, und weiter hinten dann mit Katharina Thalbach. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Zum Teil ist die Auswahl der Sänger friends and family. Mit Katharina zum Beispiel hab ich schon oft zusammengearbeitet. Und ich finde, sie hat diese Energie wunderbar rübergebracht. Man müsste eigentlich fast sehen, wie sie das gesungen hat, wie sie dabei ’rumgetanzt hat wie ein Derwisch, es war herrlich. Max Raabe, der STILLE NACHT singt, kenne ich seit ewigen Zeiten. Wir arbeiten ja ständig zusammen. Den großartigen Thomas Quasthoff, der SÜSSER DIE GLOCKEN NIE KLINGEN singt, kannte ich auch schon. Cassandra Steen für AM WEIHNACHTSBAUME DIE LICHTER BRENNEN wurde mir von meiner Managerin vorgeschlagen, eine ganz tolle Sängerin. Und Albrecht Mayer war mein Wunschkandidat für die Englischhorn-Version von STILLE NACHT. Da wollte ich nämlich noch eine zweite Version mit einem Soloinstrument. Und dann hat sich Gregor Meyle LEISE RIESELT DER SCHNEE ausgesucht.

STILLE NACHT ist das einzige Lied, von dem es zwei musikalisch vollkommen unterschiedliche Versionen gibt. Warum?

STILLE NACHT ist so eine Ikone der deutschen Weihnachtsmusik, dass ich da etwas außergewöhnliches machen wollte, und dann kam ein Arrangement dabei heraus, das zu kompliziert war, um darauf zu singen. Da passierte noch so viel anderes im Hintergrund, dass ich dachte, da muss ein Solo-Instrument dazu. Wenn man das Englischhorn wegnehmen würde, dass jetzt die Melodie spielt, würde man niemals auf die Idee kommen, dass das STILLE NACHT ist. Parallel spielen sich vollkommen andere Sachen ab. Ich habe dann noch eine zweite, getragenere Version geschrieben, auf die Max singen konnte. Da gibt es zwar auch ungewöhnliche Harmonien, aber es ist viel natürlicher, dazu zu singen.

Er singt das Lied ganz einfach, ohne jeden Schnickschnack.

Es ist ja auch irgendwie das heiligste deutsche Weihnachtslied, wobei es genau genommen aus Österreich stammt, aus der Nähe von Salzburg. Die Entstehungsgeschichte ist kurios: Es wurde an Weihnachten 1818 zum ersten Mal aufgeführt und stammt von einem Organisten namens Gruber und einem Pfarrer namens Mohr. Angeblich hat Gruber es für Gitarre geschrieben, weil die Orgel in der Kirche gerade kaputt war. Zunächst existierte es nur in ihrer Kirchengemeinde, dann hörte es jemand, der auf der Durchreise war und es wiederum in seine Gemeinde mitnahm und so gelangte es in die Welt.

Haben Sie bei allen Liedern so mit deren Geschichte befasst?

Ich habe schon einiges gelesen. Viele der Lieder sind im Biedermeier entstanden, also nach dem Wiener Kongress, wo man es sich eher wieder ein bisschen cocoonmäßig zuhause gemütlich machte. Das traute Heim und bürgerliche Beschaulichkeit waren damals sehr beliebt. und es wurde viel Hausmusik gemacht. Knapp 100 Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts wurden viele Lieder von der Jugendbewegung wieder ausgegraben, auch alte Sachen, die aus dem Mittelalter stammten. Die sind richtig mit der Gitarre losgezogen und haben eben auch Weihnachtslieder gesungen und wieder neu populär gemacht.

Laut einer Umfrage singt nur ein Fünftel der Deutschen noch selber Weihnachtslieder – gehören Sie dazu?

Mein Vater ist Organist, ich bin deshalb mit Weihnachtsliedern sozusagen aufgewachsen, aber ich muss gestehen, ich singe sie eigentlich nur am Heiligen Abend. Zusammen mit der ganzen Verwandtschaft, also mit Eltern, Geschwistern, Nichten und Neffen. Und danach gibt’s Bescherung.

Was ist Weihnachten für Sie?

Ein Fest der Freude. Weihnachten ist eben nicht Karfreitag, man hört nicht die Matthäuspassion. Es geht nicht um Tod, sondern um Geburt. Es ist ein leuchtendes Fest, und es fällt auf den Tag, den ich innerlich sowieso feiere, denn endlich werden die Tage wieder länger. Dieses Leichte, Lichte sollte auch in der Musik durchscheinen. Und ich wollte auch etwas von dem Märchenhaften transportieren, das Weihnachten umgibt. Wo die Drei Könige einziehen und allerlei Gaben aus dem Morgenland mitbringen – das hat für mich etwas von einem wunderschönen Traum.

Zu Ihren Weihnachtsliedern kann man auf jeden Fall eher tanzen, als dass man zu ihnen betet.

(lacht) Wenn das so ankommt, dann ist es wunderbar.